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Brandbrief an den BDI: „Die Erwartung, die Flüchtlinge wirkten wie ein Konjunkturprogramm ist blauäugig“

In einem offenen Brief, den wir hier veröffentlichen, wendet sich Michael Knipper, Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie, an den Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI):


Sehr geehrter Dr. Kerber,

 

mit Irritation habe ich in den vergangenen Tagen die Ausführungen verschiedener Repräsentanten der deutschen Wirtschaft zu den Auswirkungen der hohen Flüchtlingszahlen zur Kenntnis genommen. Bitte erlauben Sie mir dazu einige Anmerkungen.
Ich halte die in den Medien mehrfach wiederholte Aussage (zuletzt Herr Prof. Hüther, IW), Flüchtlinge seien ein kleines Konjunkturprogramm, für zu „blauäugig“. Sicherlich ist es richtig, dass die staatlichen Ausgaben für die Flüchtlinge (im Herbstgutachten der Wirtschaftsforschungsinstitute werden hierfür im laufenden Jahr vier Milliarden Euro und 2016 11 Milliarden Euro veranschlagt) für sich genommen tatsächlich wie ein „kleines Konjunkturprogramm“ wirken. Es sollte uns allen allerdings klar sein, dass es sich hierbei um ein rein kurzfristiges wirkendes „Strohfeuer“ handelt.

 

„Die staatlichen Ausgaben für Flüchtlinge entfachen nur ein kurzfristiges konjunkturelles Strohfeuer“

 

Auch wenn wir derzeit in Deutschland in der glücklichen Lage sind, die Ausgaben für die Flüchtlinge aus dem staatlichen Überschuss heraus finanzieren zu können, wäre ja auch eine alternative Verwendungsstruktur der Mittel denkbar. Erhöhte staatliche Ausgaben in Bildung und Infrastruktur hätten etwa den gleichen konjunkturellen Impuls zur Folge, würden aber langfristig die Produktivität am Standort Deutschland steigern und somit dauerhafte Wachstumsimpulse generieren.
Ich halte es für falsch, dass bisher auch die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft zu wenig auf die mit der unkontrollierten hohen Zuwanderung verbundenen Risiken hinweisen und zu einseitig nur die Chancen darstellen.
Herr Prof. Sinn vom ifo Institut weist zu Recht darauf hin, dass eine Integration vieler Flüchtlinge in den deutschen Arbeitsmarkt vor dem Hintergrund ihrer geringen Produktivität und des geltenden Mindestlohns kurzfristig nicht gelingen kann. Da die Politik vermutlich nicht bereit sein wird, die Lohnuntergrenze neu zu verhandeln, steht zu befürchten, dass sich die erwarteten positiven Auswirkungen der aktuellen Zuwanderungswelle auf die Beschäftigung in äußerst engem Rahmen bewegen werden.

 

„Ich vermag die undifferenzierte Euphorie in großen Teilen der deutschen Industrie nicht nachzuvollziehen“

 

Ich vermag deshalb die in großen Teilen der deutschen Industrie und der deutschen Wirtschaftsverbände zu undifferenziert herrschende Euphorie über den Zustrom von Flüchtlingen nicht nachzuvollziehen.
Auch zu den vermeintlich positiven Auswirkungen der Zuwanderung auf die sozialen Sicherungssysteme gibt es warnende Stimmen. Professor Raffelhüschen geht davon aus, dass die Zuwanderer die sozialen Sicherungssysteme nicht stärken, sondern eher belasten wird. Angesichts der eher niedrigen Qualifikation der jetzt Zuwandernden sei auch mittelfristig nicht mit hohen Beitragszahlungen in die sozialen Sicherungssysteme zu rechnen. Nur Menschen, die ausreichend lange in die Rentenkasse einzahlen, werden diese auch entlasten. Bei den meisten Asylbewerbern sei aber nicht zu erwarten, dass sie auf die notwendigen Jahre mit Beitragszahlungen kämen.
Darüber hinaus ist damit zu rechnen, dass durch die Flüchtlinge, denen in Deutschland ein Bleiberecht eingeräumt wird, mittelfristig die Arbeitslosenzahlen in Deutschland steigen werden. Dies wiederum wird zu deutlich höheren Ausgaben im Bereich der Arbeitslosenversicherung führen. Vor diesem Hintergrund ist nur schwer zu verstehen, warum der Zustrom der Flüchtlinge automatisch zur Lösung unserer demografischen Probleme beitragen soll.

 

„Es ist eine Illusion, alle Flüchtlinge schnell in Beschäftigung zu bringen“

 

Realistischer erscheint mir das aktuelle Herbstgutachten der Wirtschaftsforschungsinstitute, in dem neben den Chancen auch die Risiken angesprochen werden. Selbst bei Zuwanderern mit einer Berufsausbildung werde vielfach – trotz gegebener fachlicher Fähigkeiten – eine Anpassungsqualifizierung in Deutschland erforderlich sein. Daher wäre es eine Illusion anzunehmen, dass es gelingen könnte, alle derzeit in Deutschland ankommenden Flüchtlinge schnell in Beschäftigung zu bringen. Zudem sei auch mit umfangreichen Qualifizierungsmaßnahmen nicht zu verhindern, dass viele Flüchtlinge unter ihren beruflichen Qualifikationen beschäftigt würden. Darüber hinaus dürfte der geltende flächendeckende gesetzliche Mindestlohn den Flüchtlingen – wie anderen geringqualifizierten Arbeitnehmern – den Einstieg in den Arbeitsmarkt zusätzlich erschweren. Im Übrigen stünde es uns als Industrievertreter besser zu Gesicht, wenn wir im Zusammenhang mit der Schließung der Facharbeiterlücke oder der Lösung des demografischen Problems zunächst über Produktivitätssteigerung nachdenken würden, ehe wir uns auf das Abenteuer einer unkontrollierten Zuwanderung einlassen.

 

„Ich bin mir wohl darüber bewusst, dass warnende Stimmen derzeit in Deutschland nicht gern gehört werden“

 

Sehr geehrter Herr Dr. Kerber, ich bin mir wohl darüber bewusst, dass warnende Stimmen derzeit in Deutschland nicht gern gehört werden. Ich bin dennoch der Meinung, dass gerade wir Wirtschaftsverbände in der öffentlichen Diskussion die Verpflichtung haben, Chancen und Risiken der Zuwanderung ausgewogener dar-zustellen, als dies bislang der Fall ist. Ich würde mich daher freuen, wenn der BDI diese Argumente bei seinen öffentlichen Äußerungen berücksichtigen würde. Vielleicht ergibt sich auch die Gelegenheit, darüber beim nächsten strategischen Dialog zu diskutieren.

 

Mit freundlichen Grüßen
Michael Knipper
Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e.V.

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