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Warum Englisch allein als Wissenschaftssprache nicht genügt – Vielfalt statt Einfalt

Den Medien haben wir entnommen, dass die TU München Englisch als Unterrichtssprache für alle Masterstudiengänge einführen werde. Damit – so die Begründung – sollten die Studenten auf das internationale Berufsleben vorbereitet werden. –

Als gesetzliche Standesvertretung der Ingenieure in Berlin sind wir uns der hohen Bedeutung der Ingenieurausbildung an den Technischen Universitäten und Hochschulen für den Berufsstand bewusst. Wir nehmen daher die oben erwähnte Meldung aus den Medien, die die Zukunft unserer Ingenieure, die Zukunft des Technik- und Wissenschaftsstandorts Deutschland betrifft, ernst. Wir sind uns durchaus im Klaren darüber, dass Englisch international gesprochen wird, doch heißt das nicht denknotwendig, dass allein in dieser Sprache international auch am besten naturwissenschaftlich gedacht, gelehrt und gelernt wird. –
Vorab aber begrüßen wir selbstverständlich die Intention, die internationale Ausrichtung und Perspektive der Studenten zu betonen. Die Ingenieurausbildung muss derart sein, dass der Absolvent optimale Chancen auf dem internationalen Arbeitsmarkt hat. –

Allerdings fragt man sich, ob das Aufgeben der Wissenschaftssprache Deutsch in den Vorlesungen in Deutschland dazu der richtige Weg ist. Brechen wir damit unserer Wissenschaftssprache, unserer Wissenschaftskultur in Deutschland nicht die Spitze, so dass wir schon sprachlich den Anschluss an die Forschung verlieren? Droht uns nicht das Gegenteil von Internationalisierung, nämlich der Verlust der Fähigkeit, auf wissenschaftlich hohem Niveau weltweit mithalten zu können, weil das Denken, Sprechen und Hören in Englisch für deutsche Studenten nur unvollkommen in der muttersprachlichen Präzision gelingen kann? Verzichtet die Wissenschaft durch diese Hürde des „only english“ nicht auf Synergieeffekte, die aufgrund gleichberechtigter sprachlicher Vielfalt genutzt werden könnten? Und vor allem: welcher Vorteil ist damit für uns verbunden? Denn wir nehmen ja technisch eine weltweite Spitzenstellung ein. Und das mit in Deutsch gehaltenen Vorlesungen. Wir sind also mit unserer (deutschsprachigen) wissenschaftlichen Exzellenz weltweit wirtschaftlich ganz vorne mit dabei. –

Das Erhalten und Fördern der eigenen Sprache in unseren Technischen Universitäten und Hochschulen ist nicht Selbstzweck. Es geht hier nicht in erster Linie um die Bewahrung des Deutschen als prägendes Element der deutschen Identität, wie es aber zu Recht Bundestagspräsident Lammert jüngst betont hat (cf Focus Magazin 5(2011)). Es geht um die Zukunft optimaler technisch-wissenschaftlicher Strukturen an unseren technischen Universitäten und Hochschulen. Es geht in Forschung und Lehre immer erst um das Hervorbringen des wissenschaftlichen Gedankens selbst.
Die volle Erhaltung und Entfaltung der Muttersprache liegt im ureigenen Interesse der Wissenschaft, deren Präzision von Sprachkompetenz abhängt. Präzise Sprache ist das Werkzeug präzisen Denkens. Sprache ist also nicht nur Kommunikationsmittel, sondern Medium des Denkens. D.h., Sprache bestimmt das Denken und das Denken ist nicht unabhängig von der Sprache. Es besteht eine Wechselbeziehung. Eine der Muttersprache vergleichbare exakte Beherrschung anderer Sprachen ist auch und gerade unter Naturwissenschaftlern die seltene Ausnahme. Man muss also wissen, was man aufgibt, wenn man im Interesse einer voreilig als praktisch erklärten Einsprachigkeit (nur Englisch) genau die Präzision riskiert, die für Wissenschaft zwingend ist. Und dass das so ist, lässt sich verdeutlichen an nur zwei Beispielen:
Im Rahmen einer Studie mit schwedischen Physikstudenten – die Schweden lernen bekanntlich Englisch sehr früh und intensiv und beherrschen die Sprache exzellent – konnte der Beweis geführt werden, dass man selbst in einer Fremdsprache (Englisch), mit der man sehr vertraut ist, deutlich weniger lernt. Eigentlich glaubte man, dass die Sprache in einem Fach wie Physik kaum eine Rolle spielen würde (vgl. dazu „European Journal of Physics“, Bd. 27, Seite 553). Diese Annahme also hat sich als Irrtum herausgestellt.

Die hohe Bedeutung der Muttersprache konnte inzwischen auch klar für deutsche Mediziner nachgewiesen werden: Selbst in einer Auswahl von Medizinern, die mit dem Englischen vertraut sind, seien 25 % (!) der Informationen verloren gegangen, wenn dazu die Fachliteratur in Englisch gelesen wurde („JAMA“, Bd. 287 [21], Seite 285; vgl. hierzu auch M. Lenzen-Schulte in FAZ vom 16.01.13). Der Lerneffekt ist also für Hörer und Leser in der Muttersprache beachtlich größer.
Diese Realität gilt es zu berücksichtigen, auch bei den Naturwissenschaften.

Der Preis für die methodisch universelle Vereinheitlichung im Zeichen wissenschaftlicher Transparenz und Vereinfachung ist u. E. zu hoch. Diese Nivellierung unterdrückt die kulturellen und sprachlichen Unterschiede der Forschenden, einen Reichtum kognitiver Art, der auf die Qualität der Forschung durchschlägt. So wird das Ziel, die Generierung des wissenschaftlichen Gedankens selbst, erschwert, wenn nicht verhindert. Das Gewährleisten von Zweisprachigkeit an den deutschen Unis (Deutsch und Englisch) bereichert die Wissenschaft. Deshalb sollten z. B. Übersetzungen und bilinguale Veröffentlichungen (hier sollte man vermehrt auch auf die Hilfe von qualifizierten Übersetzern und Dolmetschern zurückgreifen) selbstverständlicher werden. Damit wird verhindert, dass andere Standardsprachen (hier also die deutsche Sprache) nicht mehr am technischen und wissenschaftlichen Fortschritt teilnehmen können – zum Nachteil der Wissenschaft international, zum Nachteil unserer Ingenieure.

Daher genügt allein Englisch als Wissenschaftssprache für uns bei weitem nicht. Mehrsprachiges interkulturelles Denken ist gefragt und aus unserer Sicht die Zukunft. In jedem Sprachraum in jedem Land also muss die jeweilige Landessprache auch in der Wissenschaft gesprochen werden, daneben Englisch als internationale Standardsprache. Wir appellieren aus diesem Grunde dringend daran, die Vorlesungen im deutschen Sprachraum weiterhin vollumfänglich in der Wissenschaftssprache Deutsch zu gewährleisten.

» Offener Brief Johannes Singhammer MdB an den Präsidenten der TU München

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