Von Scheuklappen und Fußfesseln im Umgang mit einem Denkmal in Berlin
Die Nachrufe auf die Deutschlandhalle, deren Schicksal damit vorschnell besiegelt wird, häufen sich. Die Messe Berlin als gegenwärtiger Etappensieger um den Wettlauf für Abriss oder Erhalt lässt sich von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung einen Wettbewerb ausrichten, der eine Messehalle mit 18.000 qm Nutzfläche auf dem Grundstück der abgerissenen Deutschlandhalle zugrunde legt. Einschließlich Abriss sollen die Kosten bei ca. 50 Mio EUR liegen. Mit ca. 2.800 EUR pro qm Halle ein stolzes Projekt. Bei nur 5% für Zins und Tilgung müsste die neue Halle jährlich 2,5 Mio EUR einspielen, bevor sie die Gewinnzone erreicht. Zusätzlich wird das Land Berlin etwa 15 Mio EUR aufbringen müssen, um für die verloren gegangene Trainingsstätte eine Eissporthalle am Olympiastadion zu bauen. Der von der Messe angegebene Zusatzbedarf für ITB, Grüne Woche und Funkausstellung ist verständlich, doch was findet in dieser riesigen Halle in den restlichen 49 Wochen des Jahres statt, was nicht auch in den bestehenden Hallen unterzubringen wäre
Der Rat für Stadtentwicklung hat diese Entwicklung mit Befremden zur Kenntnis genommen und fordert einen sensibleren Umgang mit der historischen Bausubstanz der Deutschlandhalle. Aus der Analyse der teilweise skandalösen Geschichte, wie von den Verantwortlichen mit der Beseitigung eines Denkmals umgegangen wird, ergeben sich zwingend neue Überlegungen für eine bessere Zukunft dieses Gebäudes.
Nach einer ersten Schließung 1997 ist die Deutschlandhalle bereits 1998 einem geplanten Abriss entgangen. Der dringende Bedarf der Eissportler nach dem Abriss ihrer Spielstätte an der Jafféstrasse, die der Messeerweiterung weichen musste, führte zu einer Umrüstung für den Eissport. Diese wiederum wurde als Ersatz für den Abriss des Sportpalastes errichtet. Mit dieser einseitigen Nutzung der Deutschlandhalle hat Berlin allerdings frühzeitig das wirtschaftliche Fallbeil über dem Denkmal aufgehängt, denn den für die gescheiterte Olympiabewerbung errichteten Hallen Velodrom und Max-Schmeling-Halle wurde zugesichert, hier keine Großveranstaltungen mehr zuzulassen. Damit war der Verfall der Halle vorprogrammiert. Ähnlich wie beim ICC ist auch hier das vorsätzliche Unterlassen normaler Instandhaltung die beabsichtigte Vorbereitung für den dann „sichtbar notwendigen“ Abriss.
Besonders fragwürdig erscheint dann die Aktion der Messe Berlin, der BAM und des Wirtschaftssenators im August 2005. Die Halle wurde gesperrt mit der Begründung, das Dach sei einsturzgefährdet und müsste für 3 Mio EUR saniert werden. Nach der sofortigen Intervention von Bezirk, Fachverbänden und Politik stellt sich bei Belastungsproben dann heraus, dass lediglich 25 der 4.600 Dachplatten ausgetauscht oder gesichert werden mussten, um die Nutzungsmöglichkeit der Halle wiederherzustellen. Allerdings waren die Abrissbefürworter durch die Hintertür dann doch erfolgreich mit dem Auslaufen der Betriebsgenehmigung zum 30. April 2009 – eine Formalie, die bei gutem Willen leicht verlängerbar gewesen wäre.
Das Junktim zwischen den Schicksalen von ICC und Deutschlandhalle wurde im Juni 2005 geschmiedet. Die Messe stellte ein Gutachten des Büros GMP vor, nach dem der Neubau für ein Kongress-Ersatzgebäude auf dem Grundstück der Deutschlandhalle für ca. 60 Mio zu haben wäre und das ICC für 30 Mio abgerissen werden könne. Alternativ könne aus dem ICC auch ein Shopping- und Eventcenter mit Wellness- und Spielcasino-Angeboten werden. Sanierung und Umbau des ICC würden 5 Jahre dauern und 219 Mio verschlingen.
Verschwiegen wurde, dass der schlichte Zweckbau nur 50% der Kongressbesucher gegenüber dem ICC aufnehmen konnte und dass die notwendige Ausstattung für einen modernen Kongressbetrieb nicht im Preis enthalten war. Unter den Tisch gekehrt wurden auch die für Berlin äußerst negativen Folgen für die inzwischen weltweit führende Kongressstadt – das ICC erhielt 2008 zum fünften Mal nacheinander den begehrten „World Travel Award“ als beliebtestes Kongresszentrum der Welt. Mit dem geplanten Neubau auf dem Grundstück der Deutschlandhalle wäre Berlin auf Provinzniveau abgesunken.
Der einsetzende Proteststurm in Fachwelt und Politik legte offen, wie hier mit gezinkten Karten gespielt wurde. Der reale Aufwand für Abriss und Neubauersatz würde wenigstens jeweils das drei- bis vierfache der genannten Kosten betragen. Das Verhalten der Messe Berlin wurde öffentlich gerügt und damit auch der Wirtschaftssenator, der das Vorgehen lange unterstützt hat. Kleinlaut wurden die Kostendaten im Mai 2007 erstmals angepasst. Die abgespeckte Kongresshalle würde bei 82 Mio liegen, ein gleichwertiger Ersatzbau für das ICC 366 Mio kosten und der Abriss 42 Mio. Die Gutachten wurden und werden konsequent als geheime Verschlusssache gehalten. Fazit: allen von der Messegesellschaft veröffentlichten Kostendaten kann nur mit äußerstem Misstrauen begegnet werden – so auch der aktuellen Aussage des Pressesprechers der Messe Hofer, der Umbau der Deutschlandhalle würde für 3000 qm Nutzfläche 120 Mio kosten. Das ist ein Armutszeugnis für eine Gesellschaft des Landes Berlin, die damit ihrer Verantwortung für den ihr an die Hand gegebenen Gebäudebestand nicht nachkommt.
Kosten von Gebäuden stehen in direkter Relation zu ihrer Konstruktion und ihren Inhalten. Seitdem sich die Bauverwaltung ihrer Kostenexperten entledigt hat, werden Gutachterergebnisse für politische Argumente verwendet. Wer aber kontrolliert die Auftraggeber der Gutachten, wer legt die Inhalte fest und wer kümmert sich um die Offenheit dieser Verfahren? Der bunte Strauß unterschiedlichster Kostendaten mit immer neuen Gutachten lässt eine Strategie durchgreifend vordefinierter und objektiv begründeter Ziele – auch alternativer – nicht erkennen.
Der Rat für Stadtentwicklung ist der Auffassung, dass im Umgang mit der Zukunft der Deutschlandhalle schwere Versäumnisse zu beklagen sind. Alternativlos verfolgt die Messe ihre Pläne zur Hallenerweiterung. Gegen die öffentliche Meinung – zwei Drittel der Berliner haben sich im Juni 2006 gegen einen Abriss ausgesprochen – gegen den Denkmalschutz, gegen den Eissport und gegen die objektive Vernunft soll mit fadenscheinigen Kostenargumenten das 75-jährige Bauwerk beseitigt werden. Kosten für die Klärung von Nutzungsalternativen sind aber sinnvoller angelegt als irgendwelche Neubauten, deren eindimensionale Programme mit Scheuklappen aufgestellt sind.
Jeder Schritt der Berliner Denkmalschutzbehörden zum Erhalt eines Denkmals wird durch eine amtliche Fußfessel gelähmt, die besagt, dass einem Eigentümer der Erhalt nicht zuzumuten ist, wenn das Denkmal nachweislich auf Dauer nicht wirtschaftlich zu betreiben ist. Ohne den Themenkomplex „Öffentliche Hand und Wirtschaftlichkeit“ hier zu vertiefen, ist davon auszugehen, dass das Land Berlin außergewöhnlich gute Argumente benötigt, die fehlende Wirtschaftlichkeit der Deutschlandhalle zu belegen, solange sie mögliche Alternativen einer neuen Nutzung nicht zweifelsfrei widerlegt. Wir hoffen, dass die untere Denkmalschutzbehörde des Bezirksamtes Charlottenburg / Wilmersdorf den gestellten Abrissantrag in diesem Sinne behandelt. Eine reine Kosten-/ Ertragsrechnung eines selbst herbeigeführten desolaten Zustandes in Verbindung mit selbstverschuldeten Nutzungsverboten darf nicht die Grundlage einer Abrissgenehmigung durch den Denkmalschutz sein!
Der Rat für Stadtentwicklung appelliert deshalb mit folgenden Vorschlägen an die politisch und fachlich Verantwortlichen, die bisherigen Fehlläufe zu korrigieren:
1. Das Wettbewerbsverfahren für eine neue Ausstellungshalle ist unverzüglich zu beenden.
2. Stattdessen ist ein Interessenbekundungsverfahren für potentielle Betreiber der Deutschlandhalle einzuleiten.
3. Die möglichen Maßnahmen der Instandsetzung und des Umbaus der Deutschlandhalle sind in wenigstens drei konkurrierenden Gutachten zu untersuchen.
4. Transparenz der Verfahren, Offenlegung aller bisherigen Kostenermittlungen und inhaltlichen Vorgaben sowie Begleitung der Verfahren durch sachlich und politisch unabhängige Fachleute.
Das Gesicht unserer Stadt darf nicht durch unsachgemäßes Handeln und die Beseitigung eines Denkmals mit einer weiteren Narbe entstellt werden!
Dipl.-Ing. Architekt AIV Uwe Hameyer
Rat für Stadtentwicklung
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