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Deutschland im Dämmwahn?

Das Wärmedämmverbundsystem an stadtbildprägenden Fassaden – ein Abgesang auf die Baukultur und das historische Erbe? Die Baukammer Berlin unterstützt die Forderung der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung an Wissenschaft, Forschung und Industrie nach baukulturell vertretbaren und zeitnah anwendungsfähigen Alternativlösungen.

Energetische Sanierungen sind zurzeit in aller Munde. So muss sich jeder Hausbesitzer bei einer anstehenden Instandsetzung seiner Immobilie mit Fragen der Energieeinsparung auseinandersetzen. Ohne Zweifel, das Thema ist aktuell und berechtigt. Doch leider wird in den derzeitigen Diskussionen u. a. auch ästhetischen, städtebaulichen und denkmalpflegerischen Belangen viel zu wenig Beachtung geschenkt. Dabei zeigt sich längst, dass die Folgen für das Stadtbild katastrophal sein können – besonders dann, wenn sich der Eigentümer für eine Außendämmung entscheidet.

Ob Klinkerbauten in Hamburg oder Fachwerkhäuser in Süddeutschland, durch das vom Staat finanziell geförderte Wärmedämmverbundsystem verschwinden ortstypische Architekturen immer häufiger hinter bis zu 30 cm dicken Dämmplatten.

In Berlin ist vor allem die wilhelminische Stuckfassade in ihrem Bestand bedroht. In den zurückliegenden Monaten sind mehrere Fälle bekannt geworden, in denen für die Verpackung von außen der Fassadenschmuck restlos abgeschlagen und durch einen schlichten Putzanstrich oder Kunststoff-„Stuck“ ersetzt wurde. Die Komplexität und harmonische Anordnung des Vorzustandes ist damit auf immer verloren, das Original zerstört. Oder anders ausgedrückt: Es droht die weitere unwiederbringliche Vernichtung des durch Kriegseinwirkungen und frühere Entstuckungswellen bereits stark dezimierten Berliner Straßenbilds aus der Zeit vor 1918.

Neben dem Verlust von differenzierter Schönheit und baukulturellen Werten ist außerdem die Beeinträchtigung von Lebensqualität zu beklagen. Altbauquartiere mit ihren ornamentreichen Fassaden werden heute als Wohnorte äußerst geschätzt und aus guten Gründen in Reiseführern erwähnt.
Und auch qualitätsvolle Fassadengestaltungen aus späteren Jahrzehnten sind von der Zerstörung durch Außendämmung betroffen.

Beispiele massiver Beeinträchtigungen aus jüngster Zeit, die in anderen europäischen Hauptstädten wie Paris undenkbar sind, gab es zuletzt in Berlin zuhauf.

Die hinter energetischen Sanierungen stehende Intention, den Primärenergieverbrauch pro Wohneinheit zu senken, ist natürlich voll und ganz unterstützenswert. Allerdings ist die Außendämmung keineswegs der einzig bekannte Weg dorthin. Passive (u.a. Erneuerung der Heizanlagen, Fenster-, Innen-, Keller- und Dachgeschossdämmung) wie aktive Maßnahmen (zielgerichtete Erzeugung von mehr erneuerbarer Wärme) erfüllen in der Regel die Vorgaben der Energieeinsparverordnung.

Überhaupt fehlt es oftmals an einer ökologischen Gesamtbetrachtung. Doch auch die Amortisation der Wärmedämmverbundsysteme ist fraglich, vor allem wenn die Nachrüstung eines Hauses im Schnitt 18.000 Euro koste – und sich nach optimistischer Kalkulation erst nach 20 Jahren amortisierte (so der Chef des dt. Instituts für Stadtbaukunst an der TU Dortmund, Dipl.-Ing. Christoph Mäckler).

Neben den Folgen für das Stadtbild ist das Wärmedämmverbundsystem übrigens auch aufgrund weiterer Kritikpunkte wie mangelnder Dauerhaftigkeit, ungeklärter Recyclingfähigkeit, offener Brandschutzfragen, bauphysikalischer und baubiologischer Probleme sowie Gesundheitsrisiken sehr umstritten.

verantwortlich:
César Abat,
Dr. Peter Traichel

Kein Ding ohne ING. - eine Initiative für den Ingenieurberuf.